11. Januar 2025

Ekelhaft

Die dunkle Seite der kolonialen Geschichte Martiniques bekommt man verhältnismäßig wenig zu Gesicht. Ich hätte deutlich mehr Mahnmale oder Erinnerungsstücke an die kolonialen Vergehen erwartet. So war das Schweigen über Anbaumethodik und Sklaverei bei den zwei Ruinen von Zuckerplantagen, an denen wir zufällig vorbeigekommen waren, auffallend laut. Den geballten Schock holten wir dann aber in der Savane des Ésclaves gebührend nach, und mein schwacher Magen hätte sich das lieber erspart. Aber auch hier gilt: der Reihe nach.

♪♪ Aber das Wasser, es fällt, es fällt ♪♪

Ja, es regnete auch mal, aber bei den Temperaturen ist das auch egal. Tatsächlich meine ich aber das den Berg herabfließende Wasser, das sich an größeren Gefällen als wunderschöne Wasserfälle seinen Weg sucht. Nachdem wir sowohl von der Schönheit der Wanderung, der Schönheit des Wasserfalls und nicht zuletzt von der sportlichen Leistung Nimues angefixt waren, wollten wir den nächsten Wasserfall unsicher machen. Auserkoren waren die Cascades de Didier, zwei Wasserfälle, die unterhalb des Jardin de Balata den Berg hinabstürzen. Bevor wir jedoch die Wandersocken schwingen durften, verkümmerten wir zunächst auf der Strecke im Stau. Das bescherte uns unverhofft einen Umweg durch den Hafen und die Innenstadt von Fort de France. War immer noch so hässlich, wie wir es bei unserer ersten ungeplanten Durchfahrt wahrgenommen hatten. Erst auf den letzten wenigen Kilometern lichtete sich das Verkehrschaos und wir ergatterten einen Parkplatz vor Trailanfang. Leider blieb von Nimues Motivation die Wege alle selbst zu gehen dann doch nicht viel übrig. Da es aber zuvor und des Nachts tatsächlich länger geregnet hatte, war ich zunächst aber gar nicht so böse drum sie in der Kraxe schleppen zu müssen.

Der Weg begann steil mit hohen, matschigen und rutschigen Treppenstufen, führte über eine Brücke und durch einen gruseligen Bewässerungstunnel. Danach verlief er etwas einfacher, aber da war man mit > 20 kg Extragepäck und schwüler Hitze eigentlich schon bedient. Zum ersten Wasserfall war es dann auch nicht mehr weit. Ich versuchte mich an beeindruckenden Bildern, Täschi und die Kids kühlten ihre Beine im Fluss. Nimue knüpfte wieder eine kleine Ferienbekanntschaft und die beiden Mädels warfen nackig Steine in den Fluss und tauschten trotz Sprachbarriere die schönsten Steine zum Werfen untereinander aus.

Der Ehrgeiz verlangte aber eigentlich, dass wir es auch zum zweiten Wasserfall schaffen. (Nicht nur, aber auch) durch den Stau waren wir natürlich wieder arg spät dran. “Offiziell” gibt es aber vom ersten Wasserfall keinen Weg zum Zweiten, auf verzeichneten Routen muss man sich diesem von der anderen Seite des Berges aus nähern, aber dann ist die Wanderung mit 8 km durch die Berge für uns wegen dem Extragepäck nicht ernsthaft zu stemmen. Vom ersten Wasserfall aus ist der zweite aber theoretisch nur 500 m entfernt, ein sportlicher Franzose sprach von etwa 20 Minuten weg. Allerdings beginnt die Etappe mit einer ernstzunehmenden Kletterpartie (noch schwieriger, wenn nass). Etappenweise hätte man Kinder und Gepäck dort hoch verfrachten müssen, so richtig gut fand ich die Idee nicht, nachdem mich der leidlich “einfache” Weg zum ersten Wasserfall schon geschafft hatte. Danach muss man sich seinen eigenen Weg mit teilweise hüfttiefen Flussquerungen bahnen. Als Sicherheitsbeauftragter für unsere Outdoorabenteuer empfahl ich uns also, das nicht so spät (wir müssten ja auch zurück, und die Kinder werden ja müde und das Licht geht früh aus) und nicht ohne Wanderstöcke für Flussquerungen etc. zu unternehmen. Geknickt mussten wir also den Rückweg antreten.

Auf dem Weg zurück sammelten wir dann noch einen Cache bei einem Nachbau der Sacre-Coeur ein. Unsere Anwesenheit an der Kirche mit schönem Ausblick wurde allerdings kritisch beäugt, da wir in eine Beerdigung gerieten. Ich habe das erste Mal in meinem Leben einen echten Sarg gesehen. Danach gab es einen kleinen Schlenker zu Decathlon, um tatsächlich in bester Rentner-Manier Wanderstöcke zu kaufen. Trotzdem ich mich gleich um Jahrzehnte gealtert fühle meine ich, das ist eine gute Investition, wenn man mit schweren Kindern auf dem Rücken über nasse, matschige und Steile Trails eilt. Täschis Knie werden es ihr danken!

Ein kleiner Wasserfall auf dem Weg zum großen Wasserfall

Jetzt zu dieser ekelhaften Sklavenscheiße

Am Samstag sind wir dann zu eingangs erwähnter Savane des Ésclaves gefahren und wollten anschließend zum Strand, da wir schon damit rechneten, dass ein Freilichtmuseum, selbst mit den größten pädagogischen Anstrengungen, Nimue nicht unendlich lange bei der Stange halten würde. In besagten Freilichtmuseum wird jeweils in sehr bescheidenem Maßstab kurz die Geschichte der Ureinwohner bis zu Vernichtung durch Kolonisten, die der Sklaverei im (hauptsächlich) Zuckerrohranbau und die der “befreiten” Sklaven nach offizieller Abschaffung der Sklaverei aufgegriffen. Als aufgeklärtes Kind des auslaufenden 20. Jahrhunderts im Allgemeinen und deutscher Staatsbürger (die wir ja im Allgemeinen so tun, als hätten wir keine problematische Kolonialvergangenheit und außerdem andere Verbrechen zum Aufarbeiten und gerade Wiederholen haben) im Speziellen hatte ich bisher ein abstraktes Verständnis der mit Sklaverei verbundenen Gräuel. Und auch, wenn das Freilichtmuseum jetzt nicht unendlich viel zu bieten hatte und auch nicht wie eine didaktisch und wissenschaftliche brillante Ausstellung wirkte, - oh boy - drehte sich mir echt der Magen um, bei den plastischen Schilderungen und den teilweise dazu ausgestellten Dingen. Widerwärtig wieder einmal die Erkenntnis, was Menschen anderen Menschen antun. Und wenn man dann, gerade im aktuell geschichtsvergessen Diskurs der Tagespolitik, immer irgendwelche Menschen liest und hört, die ob dieser und anderer Verbrechen dann meinen “es müsse ja auch mal gut sein”, “es ist ja schon lange her”: Fickt euch! Diese Scheiße ist nicht wieder gutzumachen, jede Anstrengung dazu ist vergeblich und muss gerade deshalb unternommen werden. Und die Kausalketten, was den “befreiten” Sklaven angetan wurde, endet halt heute bei ihren Nachfahren nicht. Der gesamte westliche, weiße Wohlstand ist und bleibt mit Blut und Leid bezahlt. Wir täten wahrlich mal gut daran beispielsweise alle Firmen, deren Erfolg auf Kriegen, Ausbeutung, Sklaverei und Holocaust basiert direkt zu einteignen. Tabula Rasa. Dann bleibt nicht mehr viel, aber von den dann wirtschaftlich freigesetzten Ressourcen könnte man so einiges bewegen in dem Versuch “Wiedergutmachung” zu leisten. Boah muss ich kotzen und kann das gar nicht verschriftlichen wie abartig ich das finde. Bildungstechnisch also ein voller Erfolg, trotzdem wir nur einen Bruchteil der kleinen Ausstellung überhaupt ansehen konnten, weil 37° C und Freilichtmuseum und Kinder eine üble Mischung sind.

Danach machten wir einen kleinen Abstecher zum Schildkrötenstrand, da wir Nimues Badeanzug mit den Flamingos nicht finden konnten und hofften ihn dort wiederzufinden. Taten wir nicht, es sind wohl Schwimmbrille und Badeanzug dort abhandengekommen. Das deprimierte Täschi so sehr, dass sie nicht einmal mit der am Vortag erworbenen Taucherbrille und Schnorchel auf Schildkrötenausguck gehen wollte. Wegen der Ofentemperaturen fuhren wir dann also weiter zum Schattenstrand, dort war ich dann deprimiert, wegen der Eindrücke aus dem Museum und wegen einer Ohrenentzündung, die immer schlimmer wurde. Die groß auf Schildern angekündigten Crêpes gab es dann im Strandlokal auch nicht :/. Nun war Täschi aufgrund der Crêpelosigkeit wieder deprimiert. Einen Apothekenstopp für Ohrentropfen und Ibu später waren wir dann auf dem Heimweg, verpassten die richtige Ausfahrt, standen deshalb kurzzeitig wieder im stockenden Verkehr und verspeisten nach Ankunft Schinkennudeln.